Wissensbereich
Aus zahlreichen Gründen müssen Osteopathen in Anatomie und Physiologie umfassende medizinische Kenntnisse vorweisen. In der Osteopathie sieht einer der Leitsätze vor, dass die Form der Struktur und ihre Funktion sich wechselseitig bestimmen. Jede körperliche Struktur ist an die zu leistende Beanspruchung angepasst. Verändert sich diese durch Über-/Unterbelastung (z.B. bei sportlichem Mehraufwand oder durch Medikamentengabe), passt sich die Form der Struktur der Veränderung an. Nur anatomische und physiologische Kenntnisse ermöglichen einem Osteopathen, solche Prozesse zu erkennen. Ein Osteopath erstellt, bevor er eine Behandlung beginnt, eine ausführliche Diagnose. Schon zum Zeitpunkt der Konsultation des Patienten ist das anatomische und physiologische Wissen wichtig, denn bereits während der Anamnese entsteht gedanklich eine genaue Vorstellung möglicher Erkrankungen, die in Zweifelsfall ausgeschlossen werden müssen, also Kontraindikationen darstellen oder einen Arztbesuch erfordern. Weiterhin visualisiert ein Osteopath schon während der Anamnese einen Plan für die anschließende Untersuchung. Er überlegt, welche Strukturen am Beschwerdebild beteiligt sein könnten und hat verschiedenste Variationen an Möglichkeiten in seinem Wissensschatz, die zur Erkrankung geführt haben könnten. Diese müssen Schritt für Schritt differenziert betrachtet werden. Wir sprechen von einer „differentialdiagnostischen Untersuchung“. Abschließend erfolgt die osteopathische Behandlung, die gezielt auf die betroffene/n Struktur/en wirkt, indem z.B. die Durchblutung, der Stoffwechsel oder die Mobilität angeregt wird.
Osteopathie ist keine Anwendungstechnik, sondern eine Heilkunst. Es werden keine Symptome bekämpft, sondern der Körper in seiner Ganzheit gesehen und behandelt. Osteopathen betrachten den Körper, die Seele und den Geist. Alle körperlichen Strukturen wie Muskeln, Gelenke, Faszien, Organe, Nerven, Lymphbahnen und Blutgefäße werden in Einklang gebracht. Gleichsam wird die Psyche des Patienten betrachtet. Alle Facetten und Einflussfaktoren, die sich auf unsere Seele auswirken, werden gesehen und versucht, hinsichtlich der Körperebene zu berücksichtigen. Diese ganzheitliche Sichtweise macht die Osteopathie so besonders und einzigartig.
Osteopathie ist die (Heil-)Kunst, Körper, Geist und Seele in seiner Gesamtheit zu sehen, zu analysieren und zu behandeln. Ungleichgewichte werden identifiziert und der Patient auf allen Ebenen betrachtet. Es werden Fehlstellungen der Gelenke beseitigt, Stauungen in Organen behoben, Verspannungen bzw. Verkürzungen der Muskulatur sowie Verklebungen im Fasziensystem gelöst. Blutgefäße und Nerven werden befreit, sodass alles im Körper fließen kann. Die verschiedenen Gewebe des Körpers werden aufeinander abgestimmt, sodass die Zellen bestmöglich miteinander kommunizieren. Neben der körperlichen Ebene ist das psychische Gleichgewicht ebenso wichtig und entscheidend für den Genesungsprozess des Patienten. Stressoren müssen erkannt und mit dem Patienten Lösungen gefunden werden, um eine langfristige Gesunderhaltung zu erreichen.
Aufgrund dieses umfangreichen Arbeitsfeldes muss ein guter Osteopath eine Vielzahl an Eigenschaften und Qualitätsmerkmalen besitzen:
Ein Osteopath erlernt profundes Wissen, medizinische Untersuchungsergebnisse zu verstehen und in die Befunderhebung zu involvieren. Diese Kenntnisse beziehen sich auf die Bereiche Embryologie, Anatomie, Physiologie, Histologie, Biochemie, Psychologie und bildgebende Untersuchungsverfahren. Wer anfängt, mit Menschen zu arbeiten, sollte zunächst ein Verständnis für seinen eigenen Körper und seine Psyche entwickeln. Anatomische und physiologische Erkenntnisse sollten erlernt und gleichzeitig verstanden werden. Allein das Begreifen, also das Ertasten, Fühlen und Spüren der Strukturen, die einen menschlichen Körper ausmachen, erfordert eine gewisse Zeit. Nach und nach kann von den unterschiedlichen Erfahrungen dieses Begreifens profitiert werden, aufgrund der Tatsache, dass kein Körper dem anderen gleicht. Auch derselbe Körper, der ständig Umwelteinflüssen ausgesetzt ist, bewältigt ffortwährend Veränderungen und entwickelt Adaptionsprozesse. Der Spür- und Tastsinn eines Osteopathen wird über den Zeitraum der Ausbildung darin geschult, anatomisch Erlerntes am Menschen wahrzunehmen sowie dysfunktionale Veränderungen zu erkennen und zu behandeln. Dabei wird das manuelle Erspüren im Verlauf der Ausbildung immer „feinstofflicher“, es beginnt mit dem Palpieren von Knochen und Muskeln und endet mit der Palpation des craniosacralen Rhythmus.
Zusätzlich wird der Blick des Osteopathen für Haltungsschemata, asymmetrische und/oder adaptierte Haltungen, sichtbare Veränderungen der Haut und deutlich erkennbare Dysfunktionen, trainiert. Sich Zeit zu nehmen, den Tastsinn, das Auge und alle weiteren Sinne medizinisch zu schärfen, die Angaben der Patienten zu verstehen und sinnvoll einzuordnen sowie den menschlichen Körper mit all seinen lebendigen Prozessen zu erfahren, lohnt sich!
Andrew Taylor Still behandelte mit manuellen Techniken, die seiner Ansicht nach dem Organismus zur optimalen Anpassung verhelfen, sodass sich gesundheitsförderliche Prozesse (Selbstregulationsmechanismen) besser entfalten können. Mithilfe der Aktivierung dieser inneren Kräfte kann bestehenden Symptomen oder Krankheiten begegnet werden. Die moderne Osteopathie wird als eine Erweiterung der Manuellen Medizin im Allgemeinen in drei Bereiche gegliedert:
Darüber hinaus kennt man die fasziale Osteopathie als einen weiteren großen Bereich. Faszien verbinden alle Strukturen des Körpers miteinander. In ihnen sind Organe, Muskeln, Sehnen und Knochen eingebettet. Heute weiß man, dass sie auch neurologische Strukturen beinhalten, weswegen sich, z.B. durch pathologische Prozesse oder Traumata, auch die an das Gehirn weitergeleiteten Informationenverändern können. Ein Osteopath arbeitet selten nur mit einem Teilbereich der Osteopathie. Es ist wichtig, zu betonen, dass anamnestisch, diagnostisch und auch in der Behandlung immer alle Bereiche der Osteopathie involviert sind und berücksichtigt werden. Last but not least verstehen die Osteopathen Körper und Seele als miteinander verwobene Einheit. Daher werden grundsätzlich sowohl äußere wie auch innere Einflussfaktoren, die jeden Menschen bewegen, betrachtet.
Die Schulmedizin der westlichen Welt stützt sich auf apparative Diagnostik und medikamentöse Therapie. Der Patient wird untersucht und, je nachdem, welche Symptome erzeigt, an den jeweiligen Facharzt verwiesen oder direkt vom Hausarzt behandelt, meist medikamentös. Der Facharzt untersucht den Patienten seinem Fachgebiet entsprechend und behandelt ihn, wenn sich Auffälligkeiten zeigen, operativ oder medikamentös. Wird nichts gefunden, verweist man den Patienten einfach weiter oder spricht von „psychosomatischen Störungen“. Die Osteopathie hat einen grundlegend anderen Ansatz: Hier steht die Wahrnehmung des Patienten als Ganzes im Fokus. Der Patient wird als Einheit betrachtet. Alle Körperfunktionen und - regionen werden analysiert und die Verbindungen der Strukturen auf Dysfunktionen untersucht. So kann z.B. eine Symptomatik in der rechten Schulter auf eine Dysfunktion in der Leber hindeuten. Die Diagnosemethoden und die daraus resultierenden Behandlungsansätze der Osteopathie unterscheiden sich von denen der konventionellen Medizin daher deutlich. Da die meisten Schulmediziner keine Osteopathie-Ausbildung besitzen, ist das Verständnis für die osteopathische Behandlungsweise oft nicht gegeben. Es kommt häufig zu Vorurteilen und Unverständnis. Die Akzeptanz der Osteopathie in der Ärzteschaft und der Bevölkerung ist über die Jahre deutlich besser geworden. Die positiven Berichte und Erfahrungen von Patienten haben sich auch unter Schulmedizinern herumgesprochen, und immer mehr Hausärzte entscheiden sich dafür, ihren Patienten eine Empfehlung für die Osteopathie zugeben. Dies ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn es geht um die Patienten und die bestmögliche medizinische Versorgung, zu der sowohl die konventionelle Medizin wie auch die Osteopathie zählen.
Die Osteopathie ist eine sehr vielseitige Behandlungsmethode. Sie eignet sich als präventive Maßnahme, um Fehlhaltungen und Verschleiß vorzubeugen, um Veränderungen und Spannungen im Körper zu identifizieren und vorzugreifen, bevor Schmerzen und Beschwerden entstehen. Hauptsächlich wird die Osteopathie bei bestehenden Problemen angewandt. Beschwerden im gesamten Körper, z.B. Kopfschmerz und Migräne, Rückenleiden und Gelenkserscheinungen im Hüft-, Schulter- oder Kniebereich, sind typische Indikationen. Bewegungseinschränkungen, Sensibilitäts- oder Durchblutungsstörungen sowie Lymphproblematiken können mithilfe der mannigfachen Möglichkeiten der Osteopathie gut behandelt werden. Die Osteopathie legt als ganzheitliche Methode ebenso Wert auf die Gesundheit unserer Organe. Verdauungsprobleme bis hin zu Leberfunktions- oder Herzrhythmusstörungen können verbessert werden. Mithilfe der craniosacralen Arbeit ist es möglich, Einfluss auf das Vegetative Nervensystem zu nehmen und hierdurch eine Vielzahl von Beschwerden zu lindern. In diesen Bereich fallen Stressreduktion, verbesserte Hormonausschüttung, Regenerationsförderung sowie die Stärkung des Immunsystems. Osteopathie hilft bei der Regulation von Stoffwechselprozessen und der Regeneration unseres Muskel- und Fasziensystems; sie fördert mentale und körperliche Gesundheit und wirkt positiv auf altersbedingte Veränderungen des Körpers. Außerdem unterstützt sie sanft die Entwicklung von Kindern und Säuglingen (z.B. nach traumatischen Geburten) und fördert die gesunde Reifung von Körper und Psyche im Kindes- und Jugendalter. Die Osteopathie kann aufgrund ihrer Diversität vom Anbeginn des Lebens (im Mutterleib) bis zum Tod ein hilfreicher Begleiter sein, um Körper, Geist und Seele unserer Patienten zu stärken. Jeder Mensch hat Themen auf körperlicher und/oder psychischer Ebene; daher ist die Osteopathie für jeden Menschen sinnvoll und eine hilfreiche Ergänzung für ein gesundes Leben.
Patienten vereinbaren einen Termin beim Osteopathen, wenn sie Beschwerden haben oder möglichen Problemen vorbeugen möchten. Eine osteopathische Behandlung bewirkt eine Veränderung im Körper, welche häufig mit individuellen Reaktionen verbunden ist. Mögliche Effekte können Wach- und Klarheit, Müdigkeit, Gefühle der Befreiung der Muskeln und Gelenke oder auch Muskelkater sein. Die Veränderungen und Anpassungen, die durch die osteopathische Behandlung bewirkt werden, nehmen die Patienten sehr unterschiedlich wahr. Dies hängt von der Schwere und dem Zeitraum des Vorhandenseins der zugrundeliegenden Dysfunktion ab. In der osteopathischen Behandlung wird die Gesundheit gesucht, indem das körpereigene Immunsystem aktiviert wird. Dadurch können sich die Stoffwechselvorgänge im Körper für einen kurzen Zeitraum ändern. Gefäßaktive Substanzen können das Immunsystem und die Tätigkeit zugehöriger Organe verstärken. Bezüglich so einiger Gelenk- oder Rückenbeschwerden wird durch manuelle Techniken häufig die Durchblutung verbessert, die Gelenkkapseln und direkten Gelenkpartner werden mobilisiert, Blockaden sanft gelöst und die beteiligten Muskeln entspannt. Durchblutung und Durchflutung der betroffenen Strukturen können erhöht werden. Im craniosacralen Bereich der Osteopathie werden Techniken genutzt, die z.B. die Spannungen der Hirnhäute und die Durchflutung der Schädelstrukturen positiv beeinflussen. Um dem Körper Kraft und Ruhe für die nach der Behandlung stattfindenden Prozesse zu geben, ist es nicht ratsam, direkt nach einer osteopathischen Anwendung schwere körperliche Arbeiten zu verrichten oder sportlich aktiv zu sein. Ein Osteopath bespricht üblicherweise vor der Behandlung mit seinen Patienten die möglicherweise zu erwartenden Reaktionen. Nicht immer durchführbar, aber erstrebenswert nach einem osteopathischen Termin ist, möglichst bald zur Ruhe zu kommen, viel zu trinken und „alle Fünfe gerade sein zu lassen“. So kann man die selbstregulierenden Mechanismen im Körper unterstützen.